Berlin 10. September 2022
Es sind nun ein paar Tage vergangen, seit unserer Veranstaltung in Berlin. Ich habe es dennoch nicht geschafft, all meine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Wir haben viele Monate mit der Planung und Realisierung verbracht, haben versucht an alles zu denken. Für mich, als betroffene Mutter, blieb wenig Zeit mich gefühlstechnisch darauf vorzubereiten. Mein Fokus lag auf dem Gelingen dieser, für uns alle, so wahnsinnig wichtigen Aktion.
Erst Freitagmorgen, auf dem Weg zur Autobahn, kam sie durch. Die betroffene Mutter. Und sie steuerte geradewegs auf den nächsten Drogeriemarkt zu, um eine 200er Taschentuchbox zu kaufen. Das war mit eine der besten Investitionen für diese Veranstaltung!
Die gesamte Autofahrt nach Berlin bestand schon aus einem Wechselbad der Gefühle. In dem einen Moment freute ich mich unsagbar darauf viele liebe Menschen wiederzusehen und etwas wirklich Wichtiges zu tun. Nämlich all die unsichtbaren Kinder sichtbar zu machen und ihnen eine Stimme und ein Gesicht zu geben. Doch schon im nächsten Moment haderte ich mit diesem Mammutprojekt und fragte mich, wer bin ich schon, zu glauben, ich könne etwas bewegen. Und dann kommen wir, über 6 Stunden später, in Berlin an und ich werde „begrüßt“ von einem überdimensionalen Gänseblümchen an einem Baukran. Wer mir schon länger folgt weiß, dass Ben Gänseblümchen und Baumaschinen liebte. Das war der Moment, in dem ich wusste, dass ich auf dem richtigen Weg bin und dass ich ihn nicht alleine gehe.
Bei strahlendem Sonnenschein begannen wir Samstag mit unseren Vorbereitungen auf der Wiese. Wir zogen viele neugierige Blicke auf uns, als wir die Banner mit den Kinderkrebsfakten positionierten. Als alles stand und wir den ersten Teil unserer Vorbereitungen abgeschlossen hatten, begannen wir, die Fotos der Kinder aufzustellen. Über 60 Fotos an Krebs erkrankter oder verstorbener Kinder. Und es sollten noch mehr werden. Ich glaube, Fotos wurden noch nie mit so viel Liebe und Ehrfurcht aufgestellt, wie an diesem Tag. Jedes einzelne Foto wurde gedanklich begleitet und behutsam auf die Wiese gestellt. Hier war der Startschuss für die 200er Taschentuchbox, die in den nächsten Stunden eine Runde nach der anderen über die Wiese des Reichstagsgebäudes drehte.
Die ersten Familien treffen ein, und stellen die Fotos ihrer Kinder auf. Teilweise hunderte Kilometer sind sie angereist, um an diesem Tag, gemeinsam mit uns, ein Zeichen zu setzen. Ab diesem Moment ist ein Teil dieser Wiese ein Meer aus Tränen und die Rollen der Ertrinkenden und der Rettenden wechseln minütlich. Es ist schwer in Worte zu fassen. Es lag so viel Trauer in der Luft, aber gleichzeitig auch Hoffnung, Zuversicht und Erleichterung. Erleichterung darüber, zu spüren und zu sehen, dass man nicht alleine ist. Man spürte förmlich dieses unsichtbare Band, dass uns alle verbindet und dafür sorgt, dass Worte überflüssig sind.
Neben all diesen wundervollen Begegnungen und emotionalen Momenten sind es drei, die mich auf ganz besondere Weise berührt haben.
Ich durfte Ida und ihre Familie kennenlernen. Ida hat einen Hirntumor, ein pilozytisches Astrozytom. Dieser kleine Lockenkopf hat mich so sehr an Ben erinnert. Ida kämpft gerade mit einigen Einschränkungen auf Grund des Tumors und strahlt dennoch so viel Lebensfreude aus. Ida hat sich in mein Herz geschlichen und ich wünsche ihr so sehr, dass sie es schafft!
Leni, ein kleines, quirliges 6 jähriges Mädchen, das über die Wiese flitzt und mit der Sonne um die Wette strahlt. Bei diesem Anblick ging mein Herz auf, denn als ich Leni das letzte Mal vor über drei Jahren sah, ging es ihr gar nicht gut. Ich lernte Leni und ihre Familie 2018 auf Peiper kennen. Leni war 2 Jahre alt, als sie mit ALL diagnostiziert wurde und ist nur ganz knapp um eine Stammzellentransplantation herumgekommen. Zum Abschied gab es den festesten Drücker, den man sich vorstellen kann.
Und dann war da noch Felix. Auch Felix lernte ich auf Peiper kennen. Er erkrankte mit 16 Jahren an einer chronischen Form von Blutkrebs, die Ende 2018 in eine akute Leukämie umschlug. Meine letzten Erinnerungen an Felix waren keine guten. Ein Teenager, abgemagert bis auf die Knochen, kaum mehr Haare auf dem Kopf und dem Tod näher als dem Leben. Und dann steht er da auf der Wiese und grinst von einem Ohr zum anderen. Ein großer, junger Mann mit Farbe im Gesicht und Haaren auf dem Kopf! Vielen Haaren, langen Haaren! Wir haben an diesem Tag viele und lange Gespräche geführt und Felix ist mit seinen 21 Jahren ein verdammt erwachsener, smarter und ein wenig auch weiser Mensch. Felix setzt sich heute für die Aufklärung über Stammzellenspenden ein und wirbt aktiv mit der DKMS dafür, sich als potentieller Stammzellenspender registrieren zu lassen.
Stäbchen rein. Spender sein!
Unser anschließender Abend im Restaurant Nolle bot allen Beteiligten nochmals die Möglichkeit sich auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und näher kennenzulernen. Kontakte wurden geknüpft und bis tief in die Nacht wurde debattiert, diskutiert und gelacht. Das für mich schönste Geräusch an diesem Abend, nach einem langen, sehr emotionalen Tag. Zeigt es doch, dass bei all den Schwierigkeiten und Widrigkeiten etwas nicht verloren geht, Hoffnung, Zuversicht und die Freude am Leben.
Wir haben mit unserer Veranstaltung vielleicht nicht die Politik revolutioniert, aber wir sind einen ersten Schritt gegangen. Einen von noch sehr vielen.
An Krebs erkrankte Kinder dürfen nicht länger auf das Abstellgleis gestellt werden, weil sie nicht profitabel genug sind. An Krebs erkrankte Kinder dürfen nicht länger die Kollateralschäden in unserer Gesundheitspolitik sein. An Krebs erkrankte Kinder haben, genauso wie Erwachsene, ein Recht darauf Medikamente und Therapien zu erhalten, die für sie gemacht wurden. Und zwar nur für sie!
Wir dürfen es nicht müde werden immer und immer wieder laut zu werden, auch, wenn der Weg lang und steinig ist. Denn wenn es etwas gibt, dass wir alle besonders gut können, dann ist es lange, steinige Wege zu gehen. Seite an Seite. Gemeinsam gegen Kinderkrebs!
Wir danken allen Beteiligten und Unterstützern aus tiefstem Herzen für euer Kommen! Ihr alle habt dazu beigetragen, dass dieser Tag zu etwas ganz Besonderem geworden ist.
Ich persönlich danke Antje & Stefan von der @DIPG Armee dafür, dass sie, von der ersten Minute an, an meine Idee geglaubt haben und das wir gemeinsam über uns hinausgewachsen sind!
Wir haben gerade erst angefangen. Berlin, wir kommen wieder!
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